Je weiter wir uns von Zuhause entfernten, desto länger und ungewohnter wurden die Grenzübertritte. Wir erreichten die georgisch-armenische Grenze bei Saatlo/ Gogavan am 10. März gegen Mittag. Das hatten wir uns für alle kommenden Grenzen vorgenommen, um vor der Dunkelheit genügend Zeit für die Grenze und ausreichend Fahrzeit weg von der Grenze zu haben. Einige vorherige Grenzen, auch die griechisch-türkische, hatten wir wegen der langen Fahrtage (unproblematisch) im Dunkeln überquert.
Armenien ist flächenmäßig ähnlich groß wie Brandenburg und erstreckt sich der Länge nach von Nordwest nach Südost. Offene Grenzübergänge gibt es nur nach Georgien und in den Iran. Alle Übergänge entlang der langen Landesgrenzen nach Aserbaidschan im Osten und in die Türkei im Westen sind wegen unterschiedlicher langjähriger Konflikte geschlossen.
Die Grenze bei Saatlo/ Gogavan
Die Ausreise aus Georgien war in einer Dreiviertelstunde erledigt. Die Einreise nach Armenien dauerte eine Weile, obwohl wir außer ein paar LKW-Fahrern die einzigen Reisenden waren. Aber sie verlief freundlich und – anders als wir es im Vorfeld teils gelesen hatten – transparent. Erstmals musste der Pluto in die Röntgen-Durchleuchtung. Nachdem der Zöllner am Bildschirm unseren Wust an Camping-Utensilien, Kindersachen und Werkzeugen erblickt und ein paarmal ratlos zwischen Baltes Trinkflasche und der Kühlbox hin- und hergescrollt hatte, winkte er ab und ließ uns passieren. Auch die Einfuhrpapiere für den Pluto bekamen wir problemlos und sehr bezahlbar. Wir konnten dabei unsere letzten georgischen Lari loswerden und die Zöllner luden Martin sogar zum Kaffee ein. Dann waren wir in Armenien.
Die Autoversicherung besorgten wir bei einem von mehreren Anbietern direkt hinter der Grenze. Wer nach Armenien mit dem eigenen Auto einreist, sollte seine Autoversicherung für einen ausreichend langen Zeitraum abschließen – ansonsten ist bei der Ausreise wohl mit hohen Strafen zu rechnen, die nicht an der Grenze, sondern nur in Jerewan beglichen werden können.
Durch die Berge nach Wanadsor
Der erste Eindruck eines jeden neuen Reiselandes ist prägend. Armenien empfing uns mit einem atemberaubenden Blick auf seine Schneeberge – etwa 90 Prozent des Landes liegen auf einer Höhe von über 1.000 Metern. Die armenischen Siedlungen in den Bergen wirkten ähnlich einfach und gleichzeitig freundlich wie die auf der georgischen Seite. Die armenische Schrift auf den Straßenschildern schien mir ebenso fremd und wunderschön wie die georgische.
Da der Tag nach der Einreise recht weit fortgeschritten war, suchten wir einen schnellen ersten Stellplatz – und fanden ihn unweit des Pushkin-Passes, der von den meisten Autos durch einen Tunnel umfahren wird. Ein paar Autos kamen dennoch vorbei und wurden unsere ersten armenischen Besucher: ein Fotograf, der uns zum armenischen Cognac einlud, dann drei Jugendliche, die sich mit weißem Lada, Dosenfleisch und Bier zu uns gesellten.
Am nächsten Tag fuhren wir nach Wanadsor für eine Handykarte und weitere Besorgungen. Wir erlebten diese lebhafte und bodenständige Stadt bei einem Gang über den Basar (auf dem unter anderem Schweinsohren und Schweinshaxen angeboten wurden) und einem Schuarma in einem einfachen und (außer uns) lediglich von Armeniern bevölkerten Mittags-Imbiss.
Entlang des Sewansees
Nur knapp 60 Kilometer südöstlich von Wanadsor erreichten wir über eine weitere Passtraße den Sewansee. Der armenische Fotograf hatte uns am Vorabend versichert, dass der See nicht zugefroren war, da Armenien einen warmen Winter hinter sich hatte. Der Sewansee ist etwa doppelt so groß wie der Bodensee und liegt auf gut 1.900 Metern Höhe. Es ist der größte See in der Kaukasus-Region.
Die eigentlich wunderschöne Landschaft um den See ist auf der Westseite gesäumt von Vergnügungsparks, Häuserblocks mit einfachen Unterkünften und Industrieruinen aus Sowjetzeiten. Anfang März schien die Gegend fast gespenstisch leer.
Kurz hinter dem Dorf Norashen bogen wir auf eine unbewohnte Halbinsel ab, die aber, wie der Großteil der Flächen während unseres Aufenthalts, von Schnee bedeckt war. Es war unsere erste Schnee-Fahrt mit dem Pluto abseits befestigter Straßen. Und es waren nur knapp zwei Kilometer zwischen der Straße und dem von uns ausgeguckten Stellplatz für die Nacht. Aber mit jedem Meter wurde der Untergrund weicher und matschiger und nach einer Weile blieben wir stecken. Glücklicherweise waren Bäume in Reichweite. So kam die Seilwinde erstmals zum Einsatz und zog uns zum Stellplatz.
Und es war ein idyllischer Platz: Ein unbeschneites Fleckchen im Kiefernwäldchen, von Schnee umgeben, mit hübschem Strand am See. Die Kinder tobten durch den Schnee, warfen Steine ins Wasser, bauten einen Schneemann und waren glücklich. Am nächsten Morgen grüßten die Fischer aus ihren Booten.
Hätte es Holz gegeben, wären wir wohl länger geblieben. So fuhren wir am nächsten Tag weiter entlang des Sewansees nach Süden – um für einen Ruhetag eventuell einen holzreicheren Stellplatz am See zu finden.
Wir fanden einen, brauchten dafür aber fast den ganzen Tag. Wenn wir einen schnellen Stellplatz finden wollen, nutzen wir, wie viele Reisende, die App „iOverlander“. Wenn wir mehrere Tage bleiben wollen, suchen wir unsere Stellplätze am liebsten selbst. Das dauert jedoch meist lang bis ewig. Man kommt nicht weit voran. Mal verfranst man sich, mal hat man Glück oder es kommt beides zusammen. Dafür sieht und erlebt man viel.
Nur gut 20 km nach dem Stellplatz der vergangenen Nacht wollten wir hinter Noratus wieder an den See gelangen. Die Versuche waren zehrend: Zuerst versagte uns ein Wärter die Zufahrt zu einem Pfad. Danach blieben wir bei einigen völlig vermatschten Pfaden lieber auf den Hauptweg. Der letzte Pfad führte uns dann an die Pforte eines antik wirkenden Radiogeländes, dessen Masten wir schon von weitem gesehen hatten. Es wirkte wie eine Sackgasse. Wir wollten schon umdrehen, als wir sahen, wie mehrere klapprige, verbeulte Autos auf einem zerfurchten, matschigen Weg um die Mauer des Radiogeländes herumgebogen kam. Wir waren neugierig und nahmen den Pfad, zumal wir nicht mehr weit vom See entfernt waren.
Wir landeten an einem kleinen Strand voller armenischer Fischerboote, die an diesem Nachmittag schon ihren Feierabend eingelegt hatten. Auch hier reichte der Schnee noch für einen Schneemann. Wir blieben über Nacht, genossen diesen etwas skurillen Ort und fanden sogar Holz für das abendliche Feuer. Die Fischer staunten wohl nicht schlecht über unseren Pluto an ihrem kleinen Strand, als sie am frühen Morgen trotz Eiseskälte auf den See fuhren. Die meisten waren schon im Boot, als wir uns aus dem Dachzelt wälzten. Bevor wir weiterfuhren, bekamen wir von den zurückkehrenden armenischen Fischern noch vier Plötzen geschenkt.
Über den Vardenyats-Pass ins Arpa-Tal
Über den Vardenyats-Pass fuhren wir am nächsten Tag weiter Richtung Süden, vorbei an der Orbelian-Caravanserai (der ersten der Reise; es sollten viele weitere folgen), die im Schnee fast komplett versunken war. Der Pass ist laut des Lonely Planet nur von Mai bis Oktober befahrbar; er war aber geräumt und es fuhr neben uns noch das ein oder andere Auto durch die Schneeberge.
Ich quälte mich seit der Nacht mit Übelkeit und Erbrechen – eine Tablette gegen Reiseübelkeit und ein Schläfchen während der Fahrt halfen irgendwie. Glücklicherweise war ich bisher die einzige aus der Familie mit Magenbeschwerden, obwohl ich eigentlich wenig anfällig bin.
Auf der Südseite des Passes wurde es wärmer. Die Landschaft veränderte sich innerhalb weniger Kilometer von Schneebergen in eine Wildwestlandschaft. Wir waren immer noch auf der Suche nach einem Plätzchen, um in Armenien noch einen Ruhetag einzulegen. Im wunderschönen Yegheghis-Tal machten wir eine Mittagspause. Da wir keinen Weg zum Fluss fanden, der zu tief im Tal verlief, fuhren wir weiter Richtung Süden.
Nachdem wir weiteren Pfaden entlang des Flusses Arpa vergeblich gefolgt waren, fanden wir einen wunderschön gelegenen Platz im Arpa-Tal, nur wenige Kilometer von der Hauptstraße entfernt und trotzdem ruhig, am Fluss und mit Holz. Wir genossen das Kochen mit Holz und das Lagerfeuer mit Sternen bis in die (immer noch kalte, aber mit dicken Jacken wunderbar aushaltbare) Nacht. Und am nächsten Tag war es zeitweise so warm, dass zumindest ich den Ruhetag am eiskalten Fluss als Waschtag nutzte. Josefine konnte an den Wildwest-Klippen ihrer Kletter-Leidenschaft nachgehen. Und Balthasar warf Steine und dabei auch manchmal sich selbst in den Fluss.
Über das Kloster Tatev an die iranische Grenze
An den letzten Tagen in Armenien wollte ich sehr gerne noch ein Kloster genauer als vom Vorbeifahren sehen. Tatsächlich beinhalten unsere Outdoor-Urlaube meist weniger Kultur, als mir lieb ist. Wir versuchen schon, Natur und Kultur in Einklang zu bringen. Allerdings ist die verfügbare Zeit auf Overland-Reisen mit zwei kleinen Kindern, vielen Kilometern und Stellplatzsuchen, Lagerfeuern und Ruhetagen tatsächlich begrenzt. Und, ich muss sagen, dass auch mich mit den Jahren die überlaufenen Touristen-Attraktionen an vielen Orten immer mehr abschrecken.
Umso mehr freute ich mich, Richtung iranischer Grenze einen Abstecher über das Kloster Tatev zu machen. Auf dem Weg wollten wir zudem an einer heißen Quelle vorbei, um auch die Kinder mal wieder zu baden. Tatsächlich sind wir, insbesondere die Kinder, auf dieser Reise mit sehr wenig baden ausgekommen. Anders als in unseren Sommerurlauben war es für ein (auch im Sommer oft erfrischendes) Bad im Bergsee/ Bergfluss schlicht zu kalt. Die (nicht vorhandene) Dusche im Pluto – sie wäre in der kalten Jahreszeit sicher angenehm. Aber den Großteil unserer Reisen würden wir sie ungenutzt durch die Landschaft kutschieren und der Pluto dadurch Wendigkeit und Leichtigkeit einbüßen.
Leider war die heiße Quelle auf dem Weg zum armenischen Kloster nur über einen Klettersteig zu erreichen, der uns mit den Kindern zu mühsam und risikoreich schien. Das Bad musste also noch bis in den Iran warten. Auch das Kloster Tatev wurde für uns nicht zum Kulturerlebnis. Es lag auf einer Höhe von 1.500 Metern komplett im Nebel und auch mich schreckten die Souvenir-Stände, rufenden Händler und der weit fortgeschrittene Tag von einer Besichtigung ab.
Kurz hinter dem Kloster Tatev fuhren wir wieder über den Nebel hinaus. Der anschließende Panorama-Schotterweg durch die Berge nach Kapan bot weitere wundervolle Ausblicke in die armenischen Berge.
In Kapan blieb noch Zeit für unseren letzten Einkauf in Armenien, bei dem wir uns mit ausreichend Kaffee, Nutella und Schokomüsli eindeckten, was im Iran schwer zu bekommen sein könnte.
Wir verbrachten unsere letzte Nacht in Armenien wenige Kilometer vor der iranischen Grenze und nicht allzu weit von der Hauptstraße entfernt auf einer Bergwiese. Am Abend tranken wir die letzten Biere und aßen den letzten Speck für drei Wochen. Am nächsten Morgen weckte uns im Dachzelt die Sonne und bescherte uns nochmal herrliche Ausblicke auf die armenischen Berge, die wir in so unterschiedlichen Varianten erleben durften.
Wir erreichten die armenisch-iranische Grenze bei Agarak/ Norduz, die einzige Grenze zwischen diesen beiden Ländern, am 16. März gegen Mittag. Die Aufregung war etwas größer als sonst und ich hatte schon Kopftuch und Tunika in Reichweite gelegt. Eigentlich schien mit dem Iran das Abenteuer erst so richtig zu beginnen.