Des Öfteren werden wir gefragt, wie anstrengend und gefährlich sich unsere Reise, mit zwei kleinen Kindern, häufig abseits von dichter Infrastruktur und durch die teilweise etwas verrufenen Länder Zentralasiens (jetzt mal im Ernst) gestaltet und wie und vor allem weshalb wir das auf uns nehmen.
Ich versuche ein paar Themen und eventuelle Unterschiede, etwa zu einer Reise durch Europa, zusammenzufassen.
Vorab, meiner Einschätzung nach ist die Reise durch Zentralasien nahezu jedem und mit egal welchem Fahrzeug möglich und bei entsprechend vorhandener Lust auch ans Herz zu legen.
Organisation | Einsteigen und losfahren ist nicht.
Die Organisation der Reise ist meines Erachtens der wesentliche Unterschied zu einer Reise durch beispielsweise Skandinavien.
Im Vorfeld war insbesondere Lena ein gutes halbes Jahr intensiv mit der Planung der Reise beschäftigt. Die Recherchen dazu waren aufwändig, es gleicht einem riesigen Puzzle, sich die gewünschten Informationen aus unterschiedlichsten Quellen zusammenzusuchen. Mehrere Visen mit unterschiedlichsten Einreisebedingungen und -zeiträumen waren zu beantragen und Zollpapiere (Carnet de Passage) für das Fahrzeug zu besorgen.
Während dessen nahmen mich die Planung, die Ausstattung und der Bau des Ivecos sehr in Anspruch. Um wenigstens einige Tage am Stück und auch im Winter in schwer erreichbarer Natur autark leben zu können sind aus meiner Sicht weitaus mehr Dinge als ein Campingkocher und ein Schlafsack notwendig. Trotzdem sollte der Iveco nicht zu einem Wohnmobil werden, sondern uns vorwiegend Schutz vor Wind und Wetter, sowie einen möglichst hohen Reisekomfort bieten.
Das Konfigurationsthema alleine könnte bereits mehrere Blogbeiträge füllen, worauf ich an dieser Stelle verzichten möchte. Nach fast sechs Monaten kann ich jedoch sagen, dass wir mit der gewählten Ausstattung sehr zufrieden sind. Und zum vielleicht aus unseren bisherigen Berichterstattungen entstandenen Eindruck, dass der Iveco sehr reparaturanfällig sein könnte, kann ich für mich festhalten:
Durch die äußerste Pflegeleichtigkeit unseres Ladas hatte ich die Kompliziertheit des Ivecos trotz vieler Recherchen massiv unterschätzt. Dadurch sind einige erheblich zeit- und kraftraubende Problemthemen entstanden, die es auf unserer Reise zu lösen galt. Auf einer kommenden Reise werden uns diese allesamt nicht mehr größer aufhalten. Und ansonsten gilt, dass selbst das robusteste Fahrzeug im schonungslosen Offroadeinsatz leidet und entsprechend repariert und instandgehalten werden möchte. Nicht umsonst haben professionelle Rally-Fahrzeuge unzählige Ersatzreifen, Achslager, Stoßdämpfer und vieles mehr im Schlepptau.
Hinzu kam die Planung der eigentlichen Route. Wie viele Kilometer schaffen wir in sechs Monaten, wo wollen wir hin, wo kommen wir durch? Insbesondere wegen des Turkmenistan-Visums mussten wir die Strecke bis dorthin recht genau durchplanen. Neben den Reiseberichten anderer Reisenden haben uns dabei insbesondere der Abgleich unserer bisherigen kürzeren Reisen geholfen. Ohne Kinder waren wir durchschnittlich noch mit über 300 km pro Tag unterwegs. Zur Veranschaulichung: ein Tag 600 km fahren, danach ein Ruhetag ohne fahren. Mit Kindern und unserer größer werdenden Leidenschaft unser Camp aufzuschlagen waren es nur noch 100 bis 170 km. Damit haben wir einen kompletten Tourplan angelegt und für jedes Land Werkstattpuffer und Erholungstage berücksichtigt.
Sehr froh sind wir über die eingeschlagene Richtung unserer Tour, beinhaltet diese doch Länder, welche im Sommer mehr als + 40 °C und andere die im Winter mehr als – 40 °C im Angebot haben. Im Winter ging es zunächst gen Süden und Osten, jetzt im Sommer gen Norden und Westen. Besonders genossen haben wir dabei selbst in den Wüsten die herrlich frische grüne und bunte Natur. Wehrmutstropfen waren die zumeist wolkenbehangenen oder dunstigen Nachthimmel mit sehr wenig Sternensicht. Dafür konnten wir – abgesehen vom häufigen Regen bis heute – die heißen Länder größtenteils bei durchschnittlich 10 bis 20 °C genießen und verbringen den Sommer jetzt bei 20 bis 30 °C in Russland.
Und wir vier waren unzählige Male beim Impfen. So lange, bis die Kinder keine Nadel mehr sehen konnten, obwohl sie hier große Tapferkeit bewiesen haben und von den Ärzten oft gelobt wurden. Beim Impfen haben wir dabei zu Anfangs versäumt einen detaillierten Impfplan aufstellen zu lassen, was wegen der jedes Mal anderen Abfolge und Unverträglichkeiten der Impfstoffe untereinander schnell ins Chaos führen kann. Und dann bleibt einem nur entweder die Reise zu verschieben oder eben unzureichend geimpft loszufahren.
Während der Reise
Die Organisation während der Reise ist insbesondere auf Grund unserer mangelhaften Sprachkenntnisse sehr aufwändig. Neben unserem lateinischen, gilt es auf unserer Route nicht weniger als fünf weitere Alphabete zu entziffern. Mit Englisch kommt man nur höchst selten weiter. Und wer Russisch kann ist klar im Vorteil. In Georgien und Armenien, sowie ab Turkmenistan spricht quasi jeder Russisch als Mutter- oder Fremdsprache. Und auch Türkisch ist hilfreich, vor allem in den zentralasiatischen Ländern ist die Sprache dem Türkischen sehr ähnlich und die Menschen freuen sich sehr darüber, nicht auf Russisch, sondern auf Türkisch angesprochen zu werden.
In komplizierten Situationen haben wir häufig dankbar per Telefon auf Freunde (vielen vielen Dank, insbesondere Dir Konstantin!) oder Reisebekanntschaften als Dolmetscher zurückgegriffen. Mit google translate oder anderen Apps kommt man zumeist nur bei Ein-Wort-Sätzen weiter, zumal Internetzugang noch seltener als Telefonempfang ist und die Offline-Nutzung nicht gut funktioniert.
Hinzu kommen die ständigen, völlig nutzlosen Grenzkontrollen mit vielen Nachfragen, Datenerhebungen und Gebühren. Und trotz vieler, teils motiviert durchgeführten Durchsuchungen hätte ich unter unserem ganzen Geraffel in jedes Land trotz mehreren Röntgen-Scannern so gut wie alles hineinschmuggeln können. In den zahlreichen Grenzübertritten habe ich dabei die Taktik entwickelt, jeden Grenzer nach den wichtigsten Worten in seiner Sprache zu fragen. Hallo, Danke, Ja, Nein, bitte und Entschuldigung. Zumeist fassen die Grenzer schnell Interesse und fragen nach, woher man kommt (das übrigens auch, nachdem sie minutenlang den Pass studiert haben, „ah, Germania…“), was man so treibt und wie einem das letzte Land gefallen hat, empfehlen Reiseziele und vergessen dabei häufig den eigentlichen Anlass des gegenseitigen Treffens.
Und in jedem Land gilt es auf unterschiedlichstem Weg eine neue Währung und eine neue SIM-Karte zu besorgen und manchmal eine zusätzliche Fahrzeugversicherung oder sonstigen Einfuhrkram abzuschließen. Ach wie lobe ich mir da unsere Europäische Union!
Daneben gilt es häufig nachzufragen, ob gegebenenfalls ein Bergpass noch geschlossen ist, wo man irgendetwas womöglich besorgen oder reparieren lassen kann (Fahrzeug(!!!), aber auch Reissverschlüsse, Kocher, etc.) oder wie man am besten von hier nach da kommen kann.
Oftmals sind lokale Angaben zu Gebieten, Werkstätten, Hotels, etc., im Internet nur in der Landessprache aufzufinden. Alternativ ist die App iOverlander mehr als Gold wert und über die Maße zu loben. Hier haben Reisende für Reisende die Möglichkeiten Orte zu markieren und zu beschreiben. Die App funktioniert offline nahezu genauso gut wie online und bietet zahlreiche Informationen zu unterschiedlichsten Übernachtungsmöglichkeiten, Tankstellen, Wasserstellen, Werkstätten, Einkaufsläden, etc.. Und für die zentralasiatischen Länder hat Lena auf caravanistan.com oftmals brandaktuelle und hilfreiche Informationen zu wichtigen Fragen gefunden.
Da wir darüber hinaus mit Vorsatz versuchen Pfade und Wege zu finden, die nicht allzu häufig befahren werden, die uns jedoch trotzdem auf unserer Rundreise weiterführen, verbringen wir die Abende oder Pausen häufig mit der Konkretisierung der Route. Auf dem Rechner habe ich mein Routenprogramm quovadis und zahlreiche Karten (Open Topo Map, Google Satellit und Maps), die ich notwendigerweise an jeder Stelle mit ausreichend Internet auf Stand bringe. Die Karten gleichen wir mit den Angaben aus mehreren Navigations-Apps (maps.me, iOverlander, TomTom Go und manchmal auch Yandex oder waze) ab. Lena hat dazu umfangreiche Papierkarten und Reiseführer mit an Bord. In der Planung achten wir zumeist darauf bekanntere Sehenswürdigkeiten oder offensichtliche Freizeitanlaufpunkte weitläufig zu umfahren. Oftmals gilt es Widersprüche zu interpretieren und (ganz wichtig) gleich einen Plan B, C und gerne auch D zu schmieden.
Sicherheit
Zur Sicherheit gebe ich ausschließlich meinen persönlichen Eindruck wieder, Statistiken dazu sind mir unbekannt. Es ist gewiss Typsache, ich würde mich beispielsweise auf dem Markusplatz in Venedig hinsichtlich Terrorgefahr und (Klein-)Kriminalität wesentlich unwohler fühlen, als an jedem Ort unserer Reise.
Eine kleine Ausnahme gab es für uns zum Nurus-Fest (Neujahrsfest) im Iran, als in fast jedem Dorf am Straßenrand mehrere Feuer aus Autoreifen brannten und Jugendliche in Feierlaune mit Böllern nach den Autos warfen. Das war aber keine reale Gefahr, sondern vorwiegend die Überraschung und Unwissenheit über den plötzlichen Hergang in fremder Umgebung, die mich dazu veranlassten, mit entsprechender Anspannung, eingelegter Untersetzung und deutlich erhöhter Geschwindigkeit durch die Dörfer zu preschen.
Von Gewalt und Diebstählen blieben wir bislang gänzlich verschont, auch habe ich während unserer gesamten Reise nichts Aktuelles darüber gelesen oder von jemandem gehört. Ich halte mich für einigermaßen wachsam und hatte noch nirgends auch nur das Gefühl, dass Gefahr drohen könnte. Im Gegenteil, selten ist uns durchgängig so viel Respekt, Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit entgegengebracht worden, wie entlang unserer gesamten Reise.
Meinem persönlichen Eindruck nach kann man derzeit ohne jegliche Befürchtung in alle von uns bereisten Länder reisen. Trotzdem bin ich, der ein oder andere wird nicht überrascht sein, ständig auf der Hut und entsprechend vorbereitet.
Beispielsweise warten wir, bis wir an einem Platz unser Camp einrichten, immer mindestens eine halbe Stunde und checken die Lage aus. Unser Fahrzeug stelle ich soweit möglich in Fluchtrichtung ab. Zumeist suche ich beim Holzsammeln die Umgebung nach Tieren oder deren Spuren, Ameisen, Wespen, Mücken und Skorpionen ab und verscheuche eventuell anstreunende Hunde. Und wenn wir uns nicht wohlfühlen ziehen wir nochmal los. Daneben habe ich von einer Steinschleuder gegen aggressive Hunde (absolut empfehlenswert), über diverse Stöcke, Spaten und Reizgas vieles an Bord. Aber, und das sei gesagt, ich habe alles – außer ganz selten gegen besagte Hunde – noch nie gebraucht. Und ich überlege schon lange, ob ich das Zeug nicht gegen mehrere Sträuße Blumen und Pralinen eintauschen soll. Die wären bereits oft als Dank für eine herzliche Gastfreundschaft angebracht gewesen.
Häufig treffe ich auf die Einschätzung, dass es in (der Nähe von) Städten oder Dörfern sicherer sein soll, als weg davon in der Natur. Meine Erfahrung der letzten 18 Jahre und ca. 90.000 Reisekilometer im eigenen Fahrzeug ist genau das Gegenteil. Wenn ich in den letzten Jahren einmal irgendwo angemacht wurde, in eine Rangelei geraten bin, oder um Kleinigkeiten erleichtert wurde, so war das immer in (der Nähe von) Städten oder größeren Dörfern. Und draußen in der Natur und auf dem Land ist mir, bis auf den ein oder anderen aggressiven Hütehund (die wilden sind allesamt zahm, die haben schon zu oft den Frack voll bekommen) oder einem vorwitzigen Schakal, noch nie irgendetwas untergekommen. Wir suchen uns deshalb soweit möglich unsere Übernachtungsplätze in der freien Natur, ohne umliegende Behausungen, aus und sind damit durchweg gut gefahren.
Meine letzten Anmerkungen zum Thema Sicherheit sind mir zugleich die wichtigsten. Wir versuchen auf nahezu jeden dem wir begegnen, freundlich und offensiv zuzugehen. Kaum einer kann behaupten, dass er beispielsweise meinem „Prieviet, Ja Martin, Germania, nie pani meiti“ entkommen ist. Das ist jedoch in allen Ländern, bis auf Turkmenistan und im Gegensatz zu vielen zumeist nördlich gelegeneren Ländern, gar kein Problem. Denn in vielen Ländern durch die wir auf unserer Reise gekommen sind, gehört es zum normalsten der Welt, dass sich wildfremde Personen (bedauerlicherweise zumeist nur Männer) mit Handschlag begrüßen und sich respektvoll in die Augen schauen. Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass die überreichliche Herzlichkeit mit Wangenkniff, Selfiewahn und Ansichdrücken im Iran bei unseren Kindern zurecht zu einer etwa 2.000 Kilometer langen Zurückhaltung geführt hatte, die mittlerweile aber überwunden ist. Und uns Eltern ist es im Iran trotz einigem Engagement nicht gelungen, unsere Kinder ausreichend gegen die übergroße Herzlichkeit abzuschirmen.
Und zuletzt versuchen wir, wie alle Touristen, überall auf der Welt, eben nicht wie wohlhabende, unwissende und hilflose Touristen auszusehen. Und zumindest die regelmäßige Nachfrage, was uns denn hierher verschlagen hätte und was wir tun und die auf die Antwort („Martin, mui Semia, Schena, Dotschka, Sin, Touristi“) folgende Überraschung, bestätigen mich darin, mich nicht ganz erfolglos darin zu bemühen.
Dabei waren die Reaktionen auf unseren Auftritt mit dem neuen Fahrzeug vor Antritt unserer Reise tatsächlich meine größte Sorge. Die zahlreichen winkenden Menschen, salutierenden Polizisten, herzlichen Begrüßungen, erhobenen Daumen und nachhaltigen Begegnungen beruhigen mich dahingehend jedoch sehr.
Verkehr
Die aus meiner Sicht einzige Gefahr, die uns auf unserer vermutlich gut 25.000 Kilometer langen Reise ständig und einigermaßen wahrscheinlich droht, ist die eines Verkehrsunfalls auf der Straße oder im Gelände.
Die Straßenverhältnisse haben sich – übrigens ganz zu meinem Vergnügen – nach Kroatien durchgängig stark und teilweise massiv verschlechtert und wurden erst nach dem Altai-Gebirge in Sibirien wieder durchgängig besser. Darüber hinaus bestehen in den einzelnen Ländern tatsächlich spürbare Unterschiede in den durchschnittlichen Fahrqualitäten der Verkehrsteilnehmer.
Auf der Straße mache ich mir hinsichtlich eines Unfalls auf Grund unseres Fahrzeuggewichts, unserer erhöhten Sitzposition und dem ganzen uns umgebenden Stahl dabei weniger Gedanken um uns, als um die anderen. Wobei wir uns zu jederzeit unseres langen Bremswegs und dem Schwankverhalten unseres Fahrzeugs bewusst sein müssen.
Im Gelände sind es dagegen meine Alpträume und Lenas gesunde Skepsis, die mich hoffentlich vor zu großen Wagnissen abhalten. Die größte Gefahr lauert in der Unterschätzung eines Manövers, zumeist wegen geringer Ausgesetztheit. Sobald es brandgefährlich aussieht, überprüfe ich jeden Parameter sowieso mindestens zwei Mal. Am schwierigsten ist es für uns auf matschigen Pfaden mit Schräglage. Wenn uns dort das Heck versucht zu überholen, läuft auch mir das Wasser zwischen den Pobacken durch.
Den wildesten Verkehr haben wir bislang im Iran erlebt. Zwar steht an jeder Kreuzung ein Polizist, das ändert jedoch nichts daran, dass sich eine Vielzahl der Verkehrsteilnehmer nicht im Geringsten an eine Verkehrsregel halten würde. Für mich steht das sogar sinnbildlich für die gesamten (politischen) Verhältnisse im Iran – so viel traue ich mich hier öffentlich zu sagen. Trotz rigidem System und aberwitziger Bevormundung kümmern sich gottlob scheinbar die wenigsten Iraner darum, was ihnen da so vorgeschrieben wird. Sie leiden still darunter und machen jeder für sich das Beste daraus, so eben auch im Verkehr.
Geisterfahrer – viele am Tag. Anschnallgurte, Helme, Kindersitze – nicht einen gesehen. Bis zu fünf Leute auf einem Motorroller – ständig. Rechtsfahrgebot, Überholverbot – was ist das bitte?, Rechts überholen – das Normalste von der Welt. Licht in der Nacht – weshalb denn das?, Blinken – Fehlanzeige. Winterreifen – Winter… was?, Unfälle – überall, manchmal Grund genug erst einmal den Picknickkorb auszupacken. Für mich alles irgendwie sympathisch. Was mir dabei missfällt, ist der oft fehlende Respekt untereinander. Wie in China, fährt jeder genau sein Ding und schaut nicht um die anderen, nur noch chaotischer als in China!
Medizinische Versorgung
(Diese Passage musste ich zwischenzeitlich leider bereits zweimal umschreiben.)
Bislang hatten wir großes Glück und mussten nur einmal wir zwei Mal medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Unsere Reiseapotheke ist gut gefüllt und kam diverse Male zum Einsatz und hatte bis auf Ohrentropfen bislang alles Notwendige enthalten. Apotheken mit Ohrentropfen gibt es regelmäßig. Beim Kauf von Medizin sei aber angeraten, möglichst gleich darauf zu vermerken um was es sich handelt. Uns war früher mehrmals ohne eine Aufschrift der Nutzen irgendwelcher Tabletten mit beispielsweise kyrillischer Aufschrift ein paar Wochen nach Kauf nicht mehr hundertprozentig klar und das Medikament damit unbrauchbar. Google hilft oft, aber nicht immer oder nur kyrillisch/persisch.
Meinem Eindruck nach ist medizinische Hilfe überall zu finden. Im Iran beispielsweise steht in regelmäßigen Abständen entlang der Straßen eine Rettungsstation in der Landschaft. Und im Pamir-Gebirge stießen wir regelmäßig auf Stationen und Ärzte der Aga Khan Health Foundation, die uns in Person einer herzlichen Ärztin in bestem Englisch Medizin gegen die Höhenkrankheit angeboten hat. Und in Kirgisistan, Kasachstan und Sibirien sieht man in fast jedem Dorf ein Schild, welches auf eine Krankenstation verweist.
Deutsche Zustände (soweit hier eine Verallgemeinerung möglich ist) braucht man (medizinisch) ansonsten nirgends zu erwarten. Aber dafür sind wir schließlich auch nicht hierher gefahren. Und Brüche schienen, Wunden desinfizieren und Schmerzmittel geben können sie hier überall sicherlich bestens. An Bedarf scheint es hier, wie bei uns in Deutschland, nicht zu mangeln.
Zähne ziehen können sie im Ural in Russland in jedem Fall. Ich hatte tagelang mit einer entzündeten Wurzel zu kämpfen und nach der letzten missglückten Wurzelbehandlung in Berlin nur mäßig Lust auf eine russische Wurzelbehandlung neben den mehrtätigen Werkstattaufenthalten. Also raus mit dem Backenzahn. Der junge Arzt war begeistert von der Widerstandskraft meines deutschen Zahnes („no russian tooth, too strong“) und mühte sich eine Stunde engagiert und vergeblich ab. Seine Chefin befreite uns letztendlich aus dem Gemetzel und zog mir die abgebrochenen Wurzelstummel kurzerhand in eine andere Richtung ziehend heraus. Das hätte in Deutschland auch so ablaufen können. Und meine Wunde wurde mit Eigenblut aus der Zentrifuge versorgt, damit hätte ich hier nun wirklich nicht gerechnet. Am Rande bemerkt, die Kosten dafür lagen mit mehrfachem Röntgen bei 60 Euro. In Deutschland hätte ich vielleicht 600 hingelegt.
Im Hinblick auf unsere Reisegepflogenheiten ist weniger die Frage, ob es medizinische Hilfe gibt, sondern eher, ob wir im Falle eines Notfalls zu ihr gelangen, bzw. wie wir mit ihr in Kontakt treten können.
Regelmäßig sind wir wenigstens mehrere Stunden von einem Dorf und
ohne Handyempfang in der Natur unterwegs. Für den Notfall habe ich deswegen ein
Satellitentelefon, ein Funkgerät und eine Liste mit länderspezifischen
Notrufnummern und -frequenzen dabei. Darüber hinaus haben wir eine umfangreiche
Erste-Hilfe-Ausrüstung und die erwähnte Reiseapotheke an Bord. Und weil Lena
und ich in Sachen Erster Hilfe keine Profis sind, haben wir immer die
Telefonnummern unserer Freunde und Notärzte Renate und Konrad, sowie Freundin
und russisch sprechenden Ärztin Eugenia dabei, gottlob aber noch nie
gebraucht.
Vor wenigen Tagen war das hilfreich und die nachfolgende besonders intime Geschichte erzähle ich Euch nur aus folgenden Gründen:
- Es gibt kaum etwas, was einem nicht zu jeder Zeit passieren kann. Statistiken sind unbrauchbar, wenn man der eine unter Millionen ist, den es trifft.
- Regelmäßig ab vom Schuss sollte man sich nur ausreichend ausgerüstet und erfahren begeben. Daran arbeiten wir ständig.
- In brenzligen Situationen ist es besonders wichtig einen kühlen Kopf zu bewahren.
- Russische Krankenhäuser können hilfreich und unbürokratisch sein. Die notärztliche Versorgung ist sogar kostenlos!
Ohne erkennbaren Grund bekam ich an einem abgelegenen Biwakplatz gegen Abend am gesamten Körper Rötungen und massive Pusteln, sodass ich kaum mehr sitzen konnte. Mücken/Ameisen konnten nicht an all dem schuld gewesen sein und auch Eichenprozessionsspinner oder ähnliches waren unwahrscheinlich. Telefonempfang hatten wir und ich rief, viel zu spät beunruhigt, Konrad an. Schnell hatte ich Sicherheit. Ja, eine allergische Reaktion/Schock auf Antibiotika (welches ich seit sechs Tagen wegen meines gezogenen Zahns nahm) ist auch nach vielen Tagen möglich. „Geht auf sicher und begebt euch zumindest in die Nähe eines Krankenhauses.“ Blöderweise dauerte es keine zehn Minuten und ich lag mitten in der Pampa mit Atemnot und Krämpfen auf dem Boden.
Eine Situation, wie sie für uns nicht ungeschickter sein könnte. Mit unserer dank Renates Beratung mitgeführten Adrenalin-Spritze (Epi-Pen!!) konnte ich meine Symptome lindern. Und wir konnten beide die gesamte Zeit über einen kühlen Kopf bewahren, Panik trat nicht auf. Lena packte unsere schlafenden Kinder aus dem Bett in die Kindersitze und unser letztes sauschweres Gepäck mit unglaublichen Kräften in den Iveco, während ich apathisch dalag und mich schlussendlich in den Iveco hievte.
Mit voller Untersetzung und gesperrten Differenzialen fuhr uns Lena vom Sandstrand und darauffolgend eine Stunde lang und dreißig Kilometer weit ins nächste Krankenhaus. Dort wurde mir sofort mit einer Cortison-Spritze weitergeholfen und am nächsten Tag waren die Symptome so gut wie verschwunden und nach einer weiteren Cortison-Behandlung und zwei Tage später war ich wieder vollends wohl auf.
Für uns alle ein erschreckendes Erlebnis. Aber ich weiß nicht erst seitdem, dass ich mich in jeder Situation zu 100 % auf Lena verlassen kann. Könnt ihr euch etwas schöneres vorstellen?
Früher habe ich in der Wildnis ergänzend noch Protektoren getragen, um Lena möglichst zu ersparen, mich mit gebrochener Rippe oder Wirbelsäule irgendwo heraus bergen zu müssen. Das ganze Gewicht mit mir herumzuschleppen und die Hitze darunter schaffe ich untrainierter Knochen aber mittlerweile nicht mehr. Seit wir mit Kindern unterwegs sind, bin ich vernünftiger geworden, sodass die Gefahr für mich nicht mehr allzu groß ist. Und auf ausgesetzten Wanderungen tragen unsere Kinder Klettergurte und wir haben sie ständig fest im Griff. Und wenn Lena und ich getrennt unterwegs sind, sind wir ständig über Funk verbunden. Außerdem vereinbaren wir zumeist Uhrzeiten, eine beruhigende, wichtige Vorkehrung.
Lust auf einen Notfall im Gelände habe ich trotzdem keine. Die wichtigste Sicherheitsmaßnahme ist deshalb unsere erhöhte Achtsamkeit, wenn wir alleine auf weiter Flur sind.
Reisemöglichkeiten
In allen bereisten Ländern ist die Durchfahrt mit einem normalen Fahrzeug machbar. Und mit dem entsprechenden Recherche- und Organisationsaufwand (iOverlander!) ist es problemlos möglich, sich für jede Übernachtung ein Hostel, ein privates Übernachtungsquartier, ein Hotel, einen Parkplatz, einen Werkstatthof oder einen Campingplatz zu suchen. Hiervon machen meiner Einschätzung nach die meisten Reisenden, egal mit welcher Ausstattung sie unterwegs sind, rege Gebrauch.
Für die Reise mit dem eigenen Fahrzeug ist eine weitestgehend unendliche Leidenschaft fürs Fahren empfehlenswert. Alles andere wäre gelogen. Über die zur Verfügung stehende Reisezeit lassen sich die Strapazen aber gut dosieren. Mit den nun gewonnenen Erfahrungen würde ich unsere Strecke lieber in sieben oder acht Monaten, anstelle unserer sechs Monate bewältigen. Dem entgegengesetzt, wäre ich aber nur ungerne so lange auf Reisen, dieses Thema würde diesen Blog jedoch endgültig sprengen.
Jedem, dem die erwähnte Fahrleidenschaft fehlt, sei erzählt, dass sich in jeder größeren Stadt, wie zum Beispiel Tiflis, Jerewan, Isfahan, Samarkand, Duschanbe, Osch, Almati, Nowosibirsk oder Ufa unzählige spannende Möglichkeiten bieten um das jeweilige Land zu erkunden. Geländewagentouren, geführte Wanderungen, Reiturlaube, Wüstentouren und Jurten-Camps werden nahezu überall angeboten. Und meinem Eindruck nach bekommt man dort für vergleichsweise geringes Geld jede Menge geboten. Mehrere engagierte, hilfsbereite und sympathische Reiseleiter durfte ich kennenlernen, gerne gebe ich auf Nachfrage die Kontaktdaten weiter.
Für die Reise mit dem eigenen Fahrzeug ist uns so ziemlich jedes Konzept begegnet und ich hatte immer den Eindruck, dass der- oder diejenigen ihre Reise durch Zentralasien ausgiebig genießen. Anfangen möchte ich mit den Radfahrern. Unglaublich, was die da leisten und sich auf den teilweise stark befahrenen Straßen und den anstrengenden Bergpässen zumuten. Dann gibt es welche, die auf dem Motorrad oder im Geländewagen mit leichtem Gepäck reisen, sich die gerühmten Sehenswürdigkeiten anschauen, spannende Touren unternehmen und gegen Abend zumeist ein gemütliches Hostel zum Übernachten aussuchen. Und wieder welche, die die Landschaft gerne mit Fußbodenheizung, Waschmaschine und Dampfgarer im Gepäck erkunden. Und dazwischen gibt es, vom historischen Laster, über vollbepackte Kleinwagen, bis hin zu selbst zusammengezimmerte Transporter und Reisemobile aller Art, alles. Selten ist man auf den größeren Straßen alleine und nahezu ausschließlich ist der Kontakt herzlich, informativ, angenehm und nicht selten entstehen Freundschaften daraus. Schließlich teilen wir viele Interessen, Erfahrungen und es gilt ähnliche Anforderungen zu meistern. Und spätestens nach dem Pamir Highway haben wir alle mit diversen Fahrzeugproblemen zu kämpfen, mir ist niemand bekannt oder begegnet, der ohne Werkstattbesuch ausgekommen ist.
Außerhalb großer Transitstrecken geht es mir so, dass ich anderen Reisenden vor Freude fast um den Hals falle. In der abgelegenen Natur ist mir eine solche Begegnung mit anderen Reisenden in all den Jahren, außer auf den schönen und leicht zugänglichen Naturstellplätzen im Baltikum, leider noch nie untergekommen. Dem/den zweiten Reisenden am selben Tag falle ich ebenfalls um den Hals, jedoch steigt meine Verwunderung, wie es wiederum zu einer Begegnung kommen konnte. Bei der dritten Begegnung sinkt meine Euphorie merklich und spätestens ab der vierten steht meine Entscheidung fest, mindestens einen vollen Transittag zu absolvieren und die Gegend zu wechseln. Das aber zumeist nicht wegen den anderen Reisenden! Die Prägung einer Gegend und die Reaktionen der ansässigen Menschen sind ausgesprochen andere, je nachdem, wie viele Reisende sich (gerade) darin aufhalten.
Vor dem Pamir-Gebirge zum Beispiel hatte ich im Vorhinein größte Vorbehalte. Eine der „höchstgelegenen Gebirgsstraßen der Welt“. Vor sämtlichen Destinationen mit ähnlichen Attributen mache ich ansonsten einen großen Bogen herum. Ich rechnete mit reihenweise Souvenirläden und Reisebussen, die zwar da, auf den vielen schönen Fotos jedoch nie zu sehen sind. Meine Befürchtungen waren in diesem Fall unbegründet.
Tatsächlich war es ein besonderes Erlebnis, die teilweise abenteuerlichen Strecken und manchmal aberwitzigen Überhol- und Manöversituationen in der durchweg atemberaubenden Landschaft, auch und insbesondere in der Begegnung mit anderen Reisenden, zu erleben.
Trotzdem wählten wir unter anderem auch auf Grund unserer Neigung zu verlasseneren Gegenden die unter Reisenden weniger beliebte „Nordroute“, anstelle der „Südroute“ weiter entlang der afghanischen Grenze. Und tatsächlich sind wir auf der Nordroute nur auf einen einzigen chinesischen Reisenden gestoßen, der, gerade aus China heraus gen Europa kommend, uns sofort mit seinen Gastgeschenken überhäuft hat. Ansonsten hatten sich die Straßen, übrigens auch von fast allen LKWs, etc., fast komplett geleert.
Ab vom Schuss
Um an einem schönen Platz für mehrere Übernachtungen unter sich zu sein, sind ein geländegängiges Fahrzeug und der schweißtreibende Einsatz von Untersetzung(en), Differenzialsperre(n) und Seilwinde unerlässlich. Ansonsten ist nahezu gewiss, dass irgendwann ein paar Jugendliche, eine Gruppe Kinder, ein Polizeiauto, Reisende oder ein Ausflügler aus der Umgebung vorbeischauen. Das war aber und ich habe oben ja zur Genüge darüber geschrieben, noch nie problematisch, sondern zumeist eine ebenfalls bereichernde Begegnung.
Eine der schönsten davon hatten wir vorletztes Jahr in Serbien, wo wir die halbe Nacht mit drei Grenzpolizisten bei uns am Feuer mit Tabakspfeife und Kaffee (die Grenzer) bzw. Bier verbracht haben. Das passt hier aber kaum rein, weil die drei auf ihrer Patrouille mit ihrem Pajero durch den Fluss zu uns ins Lager gefahren kamen.
Und auch ab vom Schuss ist man häufig nicht gänzlich alleine, der Schnack ändert sich jedoch immens. Zumeist sind es Schäfer, Hirten, Jäger, Angler oder Bauern die entlang des Weges kommen und gerne, je nach Landstrich, für einen Tee, ein kleines Frühstück oder Vesper und/oder ein(ige) Schnäpschen bei uns verweilen. Mann… ständig nur Männer um uns herum! Diese Reisen stehe ich tatsächlich nur zusammen mit meiner herrlichen Frau Lena durch, die sich zurecht auch etwas Abwechslung bei den ganzen Mannsbildern wünschen würde, davon abgesehen ist das Ganze für uns als Team jedoch wunderschön! – Meistens werden unser Fahrzeug, wir selbst und unsere Kinder und unsere Ausrüstung dabei fachmännisch inspiziert und mein größtes und sehr seltenes Lob ist, wenn glaubhafte Verwunderung darüber aufkommt, wie wir mit einem Fahrzeug diesen Platz erreichen konnten.
Das Allerschönste an diesen Begegnungen ist jedoch das gegenseitige Interesse aneinander. Zumeist können es die Leute nicht glauben, dass wir ein halbes Jahr unterwegs sind und nun einfach mal so bei ihnen in der Gegend an einem Lagerfeuer sitzen. Wenn ich dann erkläre, was wir davor schon gesehen haben, dass es mich interessiert wie es hier aussieht und wie ich es hier finde, dann begreifen die meisten schnell, dass diese Reise und die Art zu reisen für uns etwas Besonderes ist und wiegen anerkennend den Kopf. Und wenn ich sie frage, wie es wiederum ihnen ergeht, wie es sich lebt und arbeitet, kommen sie ins erzählen und jedes Mal stoßen wir bald an unsere bedauerliche Sprachbarriere. Ich verstehe jedoch immer genug um zu erfahren, dass es mehr als schwer ist Geld zu verdienen und die Familie mit zumeist vielen Kindern über Wasser zu halten. Und ich bekomme oft mit, dass sie stolz sind auf ihr Stück Land wo sie leben, dass sie sich täglich mit harter Arbeit bemühen, aber nicht wissen, wie sie ihr Leben die nächsten Jahre weiter aufrecht erhalten sollen.
Und häufig kommen sie später nochmals wieder und bringen uns Milch, Käse, Pilze, Holz, Fisch, Fleisch, Honig, Früchte, Selbstgebackenes oder Gemüse vorbei, was mich jedes Mal dankbar und häufig beschämt und nachdenklich zurück lässt. Würde es einem Usbeken, der bei uns im Wald am Lagerfeuer sitzt, auch regelmäßig so ergehen?
Generell, auf wieviel Armut wir gestoßen sind. Auf wieviel Ungerechtigkeit. Und wieviel Kraft, Anstrengung und Durchhaltevermögen von den Menschen trotzdem aufgebracht werden. Ich habe noch von keinem anderen Reisenden darüber gelesen und auch ich selbst habe die ganze Zeit über noch nichts darüber geschrieben. Das beschämt mich jetzt gerade am meisten. Und mein nächster Blog, er wird davon handeln.
Hand aufs Herz, wie anstrengend ist das Ganze?
Überraschenderweise sind die Entspanntesten auf unserer Reise unsere Kinder. „Ach, habt ihr euch einmal wieder festgefahren?“ Anlass genug um sich abzuschnallen und unser Fahrzeug stundenlang spielend im Chaos zu versenken, während Lena und ich die Kiste aus dem Matsch graben.
Tatsächlich versuchen wir auch in angespannteren Situationen den gegebenenfalls vorhandenen Stress vor den Kindern und uns selbst zu verbergen und einen kühlen Kopf zu bewahren. Oftmals schaufeln oder ziehen die Kinder tatkräftig mit, was für Lena und mich aber nicht weniger, sondern mehr Aufwand bedeutet. Das gemeinsame Erlebnis macht das aber mehr als wett. Und wie es um die Langzeitwirkung bei unseren Kindern steht, solche Erfahrungen als „normal“ zu verbuchen, darauf bin ich selbst am meisten gespannt…
Selten kommen auch Situationen vor, wo Lena und ich nicht mehr so einfach weiter wissen und resignieren. Insbesondere dann steigt bei uns das Reizpotential und ein umgestoßener Becher, zerfledderte Kinderbuchseiten oder Dauerquasseleien führen zu Streit, der ansonsten nicht aufgekommen wäre.
„Ich muss pullern“, ist der häufigste Grund unsere Fahrt zu stoppen und senkt unser, ansonsten für die selbst gewählten, oftmals herausfordernden Streckenverhältnisse recht ordentliches Tempo, zusammen mit „Wir halten kurz an, hier gibt es Internet“ auf Rennradniveau.
Und neben der ganzen Fahrerei ist die größte Herausforderung für uns vier, die sechs Monate zu einem großen Teil auf vier Quadratmetern zu verbringen. Ihr dürft mir glauben, den Luxus eines 30 m²-Wohnzimmers mit Sessel und Couch weiß man danach wieder ganz aufs Neue zu schätzen.
Bei einer kurzen Transitübernachtung und Regen wird unser kleiner Tisch schnell gleichzeitig zur Werkbank, Küchenzeile und Spiel- und Bastelecke. Wer seine Kindheit mit zwei Brüder zusammen in einem Zimmer, die Jugendfreizeiten im Zwölf-Mann-Zelt oder 30-Mann-Schlafraum und seinen Grundwehrdienst in der Sechs-Mann-Stube verbracht hat, ist dafür im Allgemeinen jedoch gut aufgestellt. Und mit entsprechender Bereitschaft, Talent und Training schafft man es locker auch ohne die vorerwähnte „Früherziehung“. Immerhin haben wir die letzten sechs Jahre mit unseren Kindern auf gut 35.000 Reisekilometer fleißig und mit großer Begeisterung geübt.
Und das wichtigste für uns überhaupt: Raus aus der Karre. Ständig, immer, bei jedem Wetter, egal wie tief der Matsch ist, raus. Es ist herrlich dort draußen.
Erleichterung verschaffen uns daneben diverse Prinzipien, die wir wenigstens versuchen zu beherzigen:
Ordnung vor Sauberkeit. Jeder einzelne Gegenstand hat seinen definierten Platz. Zwischenablagen gibt es keine. Alle Behältnisse sind zu jeder Zeit verschlossen. Sand, Matsch und Russ sind kein Schmutz, so lange sie nicht irgendwo im Getriebe stecken. Ich hänge sogar meinen rechten Handschuh immer über den linken an den Haken.
Ergiebigkeit schafft Gemütlichkeit. Bevor ich aufstehe um mir etwas zu holen, überlege ich was ich dafür wegbringen kann, frage die anderen ob sie auch noch etwas brauchen können und gehe beim Holen noch auf die Toilette. Dabei spare ich mir drei Mal aufstehen.
Aufgabenzuordnung und Kommunikation. Während der Versorgungsoffizier die Vorräte bunkert, kümmert sich der Steuermann um Treibstoff und das Gefährt. Und wenn die Kommunikation unter den Offizieren und der Mannschaft passt, lässt sich der Kapitän nicht blicken, sondern ist seelenruhig in seiner Kajüte beim Buddelschiff basteln.
Regelmäßige Optimierung. „Never change a running system“ ist in meinen Augen „bullshit“. Bei uns freut sich jeder, wenn für den Wasserkocher ein besseres Plätzchen gefunden wurde und dafür das Ladegerät nicht mehr ständig herunterfällt.
Insgesamt ist festzuhalten, dass wenn Lena und ich zu zweit ohne Kinder unterwegs wären, das Ganze für uns ein Kinderspiel wäre. In unseren jungen Jahren haben wir unser Dachzelt mit allem Drum und Dran nach ein paar Tagen Einspielzeit in 4,5 min vollständig aufgebaut. Mit Säuglingen war es für uns am leichtesten mit Kindern zu reisen. Die Kinder brauchen lediglich ihre Eltern, Milch, angenehmes Umgebungsklima und Ruhe. Und das schönste ist, sie schlafen noch viel. Am schwierigsten war es für uns mit den Kindern, als sie schon mobil waren, aber entweder noch nicht laufen konnten, oder ungesteuert durch die Gegend gestolpert sind. „Mobil ohne Verstand“, wie Lena dazu zu sagen pflegt. Und seitdem wird es für uns von Jahr zu Jahr leichter.
Warum nur, warum?
Für uns alle ist es ein herausforderndes und unvergessliches Abenteuer unsere Reisezeit querfeldein zu verbringen. Herum zu kurven, zu wandern, im Sand zu spielen, mehrgängige Essen auf dem Feuer zu kochen und bestenfalls den Sprung in eiskalte Gebirgsbäche nach der Sauna und unter dem Sternenhimmel am Lagerfeuer zu genießen. Das wäre uns in dieser Ausprägung in keinem europäischen Land möglich.
Die dabei entstehenden Schwierigkeiten nehmen wir dafür gerne in Kauf. Sie prägen uns alle und es ist kaum ein Tag auf unserer Reise, an dem wir nicht etwas Neues dazu lernen. Ansonsten wäre uns vermutlich auch schnell langweilig. Und nach den zugegeben teilweise recht argen Anstrengungen, können wir die Ruhe und Einsamkeit in der Natur noch viel mehr genießen.
Und unsere Reise ist geprägt von vielen lebendigen Begegnungen, wie wir sie in Europa, mit Pannenhilfeclubs, Bergwacht, Skigebieten und Wanderrouten und wasweißichnochwas, niemals erleben würden. Unvergessen bleiben mir die nachstehenden Begegnungen. Ich danke Euch dafür!
Unsere serbischen Freunde Bozo, Maja, Gizza und Daniela an der Drina. Auf bald!
Ismet, Iveco Istanbul, eine große Hilfe und herrlicher Gesprächspartner zum Mittagessen unter dreißig Mechanikern.
Orhan und Freunde zum Abendessen im Hotel. Ein Stockwerk darunter schliefen unsere Kinder mit Babyphon. Jederzeit wieder!
Die Drückjagdjäger am Schwarzen Meer, unbedingt möchte ich das nächste Mal zusammen mit Euch los ziehen.
Die Mechaniker in der Iveco-Werkstatt in Samsun. Herrliche Kaffee- und Mittagspausen und endlich die Lösung unseres Lüfterproblems.
In Tiflis die Parkplatzwächter mit Ihrem Höllenschnaps, dem schlimmsten, den ich je getrunken habe.
Irakli in Tiflis, vielen Dank für den angenehmen Nachmittag.
Georgien – David der Polizeichef mit seinen Jungs am Khrami-Fluss. Camping Vollprofis feiern den georgischen Muttertag, während ihre Frauen im Restaurant sind. Und wir mittendrin.
Armenien – Karen und danach die drei aufgedrehten Jungs im Lada, die für uns ein Lagerfeuer mit Dosenfleisch gemacht haben.
Der österreichische Radler, der uns im armenischen Gelände an zwei Tagen sogar überholt hat. Wo Du jetzt wohl steckst? Vermutlich bist Du gerade nur ein paar Kilometer von uns entfernt.
Sevan-See – die Fischer, die uns zweimal reich mit Fisch beschenkt haben.
Die Deutschen und Reza in Täbris auf dem Campingplatz. Das war ein schönes Erwachen mit Euch, auf dem ansonsten von mir nicht sehr gemochten Campingplatz an der Autobahn.
Ohrumya-Salz-See: Abdoullah, Hassan und Kollege. Mit zwei Traktoren den Pluto herausgezogen. Dazu Hassans Eltern und seine Schwester, Onkel, Tante und Cousins zum winterlichen Abendessen, alle gemeinsam die Füße unter dem Heizteppich. Ihr ward unsere Rettung! Meine Axt ist bei Euch in besten Händen!
Hasanlo-See im Iran – Ahmed und seine zwei kurdischen Kollegen von der Straßenmeisterei. In Halbschuhen den Pluto letztlich ausgegraben. Lasst Euch meine letzten Tropfen Whisky gut schmecken!
Patcha Sud (Sud bedeutet Rot) – Masoud, Mama Sarah und Schwester Sheida. Bruder und Freunde, Abendessen bei den Freunden, Frühstück bei der Mama. Gezerre um uns. Eine meiner wildesten Sylvester-Partys und das ganz ohne Alkohol.
Reza, wir haben uns an der verunfallten Familie im tiefen Schnee kennengelernt. Da hätte ich mir einen ruhigeren Ort gewünscht.
Isfahan – tausend iranische Touristen und die zwei quirligen Englischstudenten. Außerdem Hooman, Mouhamed der Rezeptionist, der Deutsche vor dem Frühstück und die zwei sympathischen teheraner Pärchen. Und natürlich Arash der Taxifahrer (Isfahan No1 KeschMesch Arag).
Mesr-Wüste – Mitija, Janek und Davorin, die slowenischen Offroad-Junkies. Wir sehen uns wieder!
Iran Bergstausee – die zwei Mechaniker auf dem Motorrad besuchen uns. Ach haben die gestaunt, dass wir mit dem Fahrzeug auf ihrem Plätzchen standen.
Grenze Turkmenistan/Usbekistan – der türkische LKW-Fahrer spricht perfekt Deutsch, gibt mir Tipps und zahlt 12 Mannat Parkplatzgebühr für mich.
Samarkand – Akram. Ich bin Dir sehr zu Dank verpflichtet, auch wenn unser Fahrzeug danach vollends am Arsch war.
Fan-Gebirge – die Jungs spielen mit Balte und Josi und sammeln Feuerholz, Rachmad der achtjährige Esel-Cowboy.
Farokh in Dushanbe. Komm uns unbedingt in Berlin besuchen. Es war wunderbar Ostern bei Euch in der Familie zu begehen.
StanRally – drei Belgier in Dushanbe. Wir hatten einen feuchtfröhlichen Abend zusammen, während unsere Kinder auf der Nachbarbank schliefen.
Abdoullah – der Schäfer am Fluss bei Nurek. Wir hätten uns stundenlang unterhalten können, hätten wir eine gemeinsame Sprache gehabt. Dafür haben wir gemeinsam Holz gemacht. Danke für die tolle Bootsfahrt und Eure Gesellschaft an Josis Geburtstag.
Ville und Sarah – Euch würde ich am liebsten noch zehn Mal treffen.
Duma – der Schäfer im Pamir mit dem Truthahn und den vielen Küken. Mit Dir bin ich unendlich gerne zusammen gesessen.
Die drei indisch/bangladeschi-Botschafts-Jungs im Hotel in Kurog, welche Josi und Balte bespielt haben. Mensch waren die verknallt.
Die zwei Radler aus Schweden im Pamir – der eine bis Neuseeland, von dort aus mit seinem Bruder auf dem Segelboot nach Südafrika und von dort aus mit dem Rad nach Schweden. Bislang schon elf Monate unterwegs. Einfach nur crazy.
Die Aga Khan Ärztin, die uns die Mitfahrerin abgenommen hat: „Danke, dass ihr unsere Leute mitnehmt.“ „Es ist uns eine Freude, zumindest damit ein bisschen von Eurer ganzen Gastfreundschaft zurückzugeben“.
Der pensionierte Militärfahrer am kleinen See mit Vodka zum Frühstück. Jederzeit wieder, aber maximal drei.
Evgenij in Osh. Herrliche Gespräche und nicht nur über Werkstattthemen. Und Vlad ist mir noch einen Anker schuldig. Wir werden uns wiedersehen.
Jagender Restaurantbesitzer mit Familie in Osh. Das nächste Mal kommen wir nach dem Ramadan und zur Jagdzeit zu Euch!
Die Höllenreiter vor Kazerman, Balte auf dem Gaul. Ich hätte niemals auch nur vermutet, dass man senkrechte Felswände hinauf reiten kann. Vielen Dank für Euren Besuch an unserem Lagerfeuer.
Yssykköl: Sergej mit Bier zum Feierabend und Frühstück (nur Sergej). Der andere Hirte, der mir erklären wollte, dass man Müll weit in Büsche schmeißt oder vergräbt. Als ich ihm unsere Müllsammlung und meine Müllschachtel gezeigt habe war er baff. Das nächste Mal sehen wir uns zur Jagdzeit und holen uns den Fasan.
Die kasachischen Grenzer freuen sich über vier Dosenbier. Selten so freundliche und glückliche Jungs in Uniform gesehen.
Almaty: Mathijs von den Kaffeeröstern. Selten so schnell eng gewesen. Und Josi hat sich in mindestens drei Barkeeper verknallt. In einen mal so richtig.
Almaty Andrej bei Iveco. Was haben wir uns stundenlang mit google-translate abgemüht. Schön wars.
Ihr zehn altaischen Bauern. Die 100 Dollar für die Bergung sind bei Euch verdammt gut angelegt. Und was habt ihr Euch zurecht über mich totgelacht.
Margit und Bo. Theres und Daniel. Welch erfreulich angenehmer Austausch!
Die zwei Bärenjäger und die zwei Angler am Fluss im Altai. Gute Besserung und auf Wiedersehen!
Vladimir, sowjetischer Afghanistanveteran, Fallschirmspringer, Campingplatzbesitzer am See im Altai. Ich bring Dir die G-Klasse und Du gehst mit uns auf Deinem Boot zum Jagen. Abgemacht.
Andrej, Olga aus Novosibirsk und ihre zwei Freunde auf der Fähre. Was ein wunderschönes gemeinsames Erlebnis.
Robert, verrückter russischer Franzose. Herzlich Dank für den leckeren Hirsch.
Vladimir Werkstattleiter aus Ufa. Zu Dir würde ich jederzeit wieder in die Werkstatt gehen.
Roland, Du hast uns unglaublich erholsame und vergnügliche Tage in Kiew beschert. Herzlich Willkommen zurück in Berlin!