Gestern Nacht, 06.06.2019 hatten wir ordentlich Wind mit sehr starken Böen. Bei viel Wind schlafe ich generell schlecht und mache mir – bislang völlig unbegründet – Sorgen um das Aufstelldach. Was wäre wohl, wenn uns der Wind das Dach abreißen würde? Was könnte ich tun? (Nichts!) Soll ich umparken? Kinder und Lena dafür wecken oder einfach so probieren?
Gegen 2.30 Uhr bin ich aufgestanden. Gedanken sortieren, Notizen schreiben, Instagram checken, ein Schlückchen Whisky schlürfen und draußen den Sternenhimmel bei Zigarette genießen. Aus nicht allzu großer Entfernung hörte ich ein junges Schäfchen Leise blöcken. Mitten in der Nacht? Hier draußen bei uns, nichts Drumherum, hier kann etwas nicht stimmen. Nach kurzem Überlegen bin ich mit Stock und Stirnlampe los um nachzuschauen. Und tatsächlich, keine dreißig Meter entfernt, kommt aus dem Nichts am Boden das Blöcken her.
Das Nichts stellte sich als zerfallenes Betonbauteil im Boden heraus, das mit Armierungseisen gespickt mindestens vier Meter tief und sehr niedrig nach hinten in die Böschung verlief. Fast ganz hinten kauerte ein kleines Böcklein und blöckte, war festgeklemmt und völlig apathisch. Es musste mindestens seit dem Nachmittag dort drin sein, ich vermute es war bereits weitaus länger dort drin.
Schnell verwarf ich den Gedanken das Betonbauteil von oben durchzuhämmern und machte mich daran das Böcklein herausziehen. An meinen Schäferstab band ich ein Seil mit Schlaufe, kroch, den Boden nach Skorpionen absuchend, zur Hälfte in die nach Ziegenscheiße stinkende Röhre und versuchte dem Böcklein die Schlaufe um seine Hörner zu legen. Mehrere Fehlversuche und mehrere schmerzhafte Zugversuche später, das Böcklein schrie teilweise sehr, war es soweit. Ich konnte es bis nach vorne hervorziehen und befreien.
Zusammengekauert, lahm, zugeschissen und völlig verängstigt lag es vor mir. Und was nun? Es machte keinerlei Anstalten aus der mitgebrachten Schüssel zu trinken und so zog ich es an den Hörnern an den nahegelegenen Fluss. Dort immerhin nahm es zwei, drei winzige Schlückchen zu sich, ohne jedoch im Geringsten fitter zu werden. Zwischenzeitlich weckte ich Lena und erzählte ihr von meinem Erlebnis. Aus dem Pluto zurück, hatte sich das Böcklein ein bis zwei Meter weit vor Angst unter den Pluto verkrochen. Immerhin, es konnte sich doch bewegen.
Weder wollte ich, dass das Böcklein sich wieder in irgendeinem Loch verkroch, noch wollte ich, dass in der restlichen Nacht ein anderes Tier vorbeikommt und sich über die leichte Beute erfreute.
So entschied ich mich im Morgengrauen dazu, das Böcklein in das ca. zwei Kilometer entfernte Dorf zu bringen. Dort muss es ja jemandem gehören. Leichter gesagt als getan.
Aus schönen Bilderbüchern hatte ich das Bild des behütenden Schäfers vor Augen, wie er sein verlorenes Schaf um den Hals gelegt zurück zur Herde bringt. In der Realität aber stellt es sich als wesentlich unromantischer heraus, sich ein stinkendes, verschissenes, jammerndes, zuckendes Fellbündel um den Hals zu legen. Ich brauchte einige Zeit mich zu überwinden. Letztendlich nahm ich es auf die Arme und trug es, wie ich auch eines meiner Kinder getragen hätte.
Und wir brauchten sehr lange. Alle paar Meter ließ das Böcklein den Kopf völlig hängen und ich hatte große Sorge, dass er mir zwischendrin wegsterben würde. Freundlich flehend, wartend in Ruhe lassend und motivierend tätschelnd und schimpfend verbrachte ich die Tragepausen. Stirb mir jetzt nicht weg, immerhin stinke ich mittlerweile genauso wie Du!
In der Taghelle gegen fünf angekommen, traf ich zunächst auf einem älteren Herrn, der hinter seinen Hütten gerade dabei war seine morgendliche Blase zu leeren. Der wusste gar nicht wie ihm geschehen sollte, als plötzlich ein großer europäischer Mann mit Schaf im Arm in seinem Garten stand. Er folgte dem besten seiner sicherlich noch nicht allzu zahlreichen morgendlichen Gedanken und entleerte zunächst seine drängende Blase. Nach unserer darauffolgenden Begrüßung, ich meine die erste auf meiner Reise ohne Händeschütteln, teilte er mir mit, dass er den Bock nicht haben wolle. Der gehöre sicherlich seinem Nachbarn, der wohne nur 100 Meter weiter.
Mit eher geringer Lust, das stinkende Bündel noch weiter zu schleppen, machte ich mich auf den Weg. Dort angekommen, kletterte ich über den Zaun und rechnete jede Sekunde damit von Hunden angefallen zu werden. Weit und breit war niemand zu sehen und so pfiff ich mehrmals lautstark um auf mich aufmerksam zu machen. Nichts rührte sich. Bei den Ställen angekommen sah ich nur aufgeschreckte Schafe und Ziegen, ansonsten aber weit und breit niemand. Ich verspürte weiterhin wenig Lust als allererstes Bekanntschaft mit dem oder den Hunden zu machen oder noch stundenlang auf jemanden zu warten. Ich wünschte dem Böcklein alles Gute, öffnete die Stalltür und legte es hinein. Schnell machte ich mich von dannen.
Mit der allerersten Morgensonne im Rücken spazierte ich den Weg zurück, gab Lena Bescheid und machte zuallererst Kaffee. In der Morgensonne am Fluss trank ich entspannende Schlückchen, bevor ich dann doch noch einen seelenruhigen kurzen Schlaf genießen konnte.
Nach dem Frühstück fuhren wir bei besagtem Hof vorbei, wobei wir wiederum niemanden antrafen. Die Stallungen waren aber leer, das Böcklein war also sicherlich aufgefunden worden. Ob es wohl noch lebte? Ich weiß es nicht und werde es auch nicht mehr herausfinden. Wie der Schäfer wohl aus der Wäsche geschaut hat, als er das Böcklein in seinem Stall gefunden hat? Auch das werde ich nie erfahren.
Jetzt, am Abend desselben Tages sitze ich da und rieche trotz Flussbad und Kleiderwechsel noch immer nach dem Bock. Mehrfach passend. Ich wollte schon immer Schäfer werden.




Stark, Bogdan!! 🙂
Bitte nutze Deinen Schäferstab ab Sommer auch hier.
Sieht bestimmt besser aus als die Horden von Damen mit ihren Nordic Walking Stöckchen. 🙂
Eisern!
Achim
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